Wale und Delfine - Wissenschaftliche Beiträge für das WDSF

PD Dr. Christian Schulze (Ruhr-Universität Bocum) - Foto:Privat

Priv.-Doz. Dr. Christian Schulze, zweifach examinierter Biologe (mit den Schwerpunkten Zoologie, spezielle Botanik und Stoffwechselphysiologie) und Altphilologe, ist seit 2003 habilitierter Hochschullehrer der Medizinischen Fakultät an der Ruhr-Universität Bochum und praktizierender Gymnasial-Biologielehrer. Seine Forschungs- und Publikationsschwerpunkte liegen auf medizin- bzw. biologiehistorischen und -ethischen Fragestellungen. Seine Lehrveranstaltungen (seit 1999) sind interdisziplinär geprägt und beziehen Medizin, Biologie, Klassische Philologie (hier Lehrauftrag) und Ethik mit ein. Er arbeitet als Gutachter für verschiedene wissenschaftliche Fachjournale und ist Träger des Preises für Studierende der Ruhr-Universität Bochum 1999 für seine Dissertation. Als Privatdozent hat Herr Dr. Schulze die höchstmögliche wissenschaftliche Qualifikation erreicht und ist in seinen Rechten und Pflichten einem Professor gleichgestellt. Die hier vorgestellten wissenschaftlichen Stellungnahmen von Herrn Dr. Schulze erfolgen unter dem Aspekt der Unabhängigkeit, Wissenschaftlichkeit und Neutralität (weitere Hinweise zu Herrn Dr. Schulze im WDSF-Kuratorium)


04.12.2008

Wissenschaftliche Stellungnahme von Priv.-Doz. Dr. Phil. Christian Schulze:

Mangelhafter Wissenschaftsbezug im Delfinarium Münster


Mai 2008

Wissenschaftliche Rezension von PD Dr. Christian Schulze:

"Delfintherapie für Kinder mit Behinderungen" - Breitenbach et al.


08.04.2010

Wissenschaftliche Stellungnahme zur Neufassung des Gutachtens
über Mindestanforderungen an die Haltung von Säugetieren:

(hier: Säugetiergutachten Wale und Delfine - Altfassung)

Wissenschaftliche Stellungnahme von PD Dr. Christian Schulze für die Neufassung der Abschnitte „Haltungsbedingungen: Unterbringung – Anlage Raumbedarf, Wasserqualität - Physikalische und chemische Parameter, sowie zum Forschungs- und Wissenschaftsbezug“ bezüglich der Haltung von Cetacea (Wale und Delfine) zur Vorlage beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

Auszug aus der wissenschaftlichen Stellungnahme zur Delfinhaltung von PD Dr. Christian Schulze:

"Weder stehen Strecken zur Verfügung, die eine hinreichend lange Bewegung in Maximalgeschwindigkeit oder ggf. gar ihr Erreichen ermöglichen, noch können natürliche Tauchtiefe und Distanzwanderungen auch nur ansatzweise simuliert werden. Will man nun eine „artgerechte“ Haltung - der Terminus selbst ist umstritten - von Tursiops truncatus in Zoos nicht für grundsätzlich ausgeschlossen erklären, ergibt sich das Problem, dass aus obigen Punkten kaum eine konkrete Empfehlung für die baulichen Größenanforderungen ableitbar ist. Vorschlagsweise sei aber folgende Überschlagsrechnung angeführt: Nimmt man Vmax, Beschleunigungsphase und die anzustrebende Vermeidung stereotypischer Kreisbewegungen (z. B. dadurch, dass es dem Delfin ermöglicht wird, zumindest eine Minute lang geradeaus zu schwimmen) als groben Bezugsrahmen, ergibt sich für die erforderliche Bahnenlänge ein Wert von rund 850-900 m."

 

Vollständige wissenschaftliche Stellungnahme von PD Dr. Christian Schulze von der Medizinischen Fakultät an der Ruhr-Universität Bochum

a) zu: Haltungsbedingungen, Punkt 1: Unterbringung - Anlage und Raumbedarf

Aus ökologischer und ethologischer Sicht kommt der Simulation des natürlichen Habitats einer Tierart in Zoos bzw. Delfinarien eine zentrale Bedeutung zu. Während dies für bestimmte Tiergruppen auch unter Anlegung kritischer Maßstäbe durchaus realisierbar scheint - z. B. bei euryöken, kleineren Tierarten oder bei Schlangen, deren natürlicher Platzbedarf mit hinreichend großen und entsprechend ausgestatteten Terrarien abbildbar ist -, ergeben sich im Falle des Großen Tümmlers (Tursiops truncatus), auf den sich das Säugetiergutachten für die Cetacea exemplarisch bezieht, grundlegende Probleme:
Die Spezies bewohnt ein komplementäres Habitat, dessen Größe wesentlich vom Aktionsradius, z. B. bei der Nahrungssuche, bestimmt wird. So tauchen sie bis zu 200-300 m tief, erreichen Geschwindigkeiten von 50 km/h (z. T. höher; Angaben variieren) und legen oft große Tagesstrecken zurück. Die bisher im Säugetiergutachten vorgegebenen Größenanforderungen für bis zu fünf erwachsene Große Tümmler (Mindestoberfläche 400 m2, Gesamtwasservolumen 1.500 m3, Mindesttiefen - je nach Zweck variierend - zwischen 1,5 und 4,0 m) können bereits prima facie die genannten ökologischen und verhaltensbiologischen Charakteristika der Art nicht umsetzen:

Weder stehen Strecken zur Verfügung, die eine hinreichend lange Bewegung in Maximalgeschwindigkeit oder ggf. gar ihr Erreichen ermöglichen, noch können natürliche Tauchtiefe und Distanzwanderungen auch nur ansatzweise simuliert werden. Will man nun eine „artgerechte“ Haltung - der Terminus selbst ist umstritten - von Tursiops truncatus in Zoos nicht für grundsätzlich ausgeschlossen erklären, ergibt sich das Problem, dass aus obigen Punkten kaum eine konkrete Empfehlung für die baulichen Größenanforderungen ableitbar ist. Vorschlagsweise sei aber folgende überschlagsrechnung angeführt: Nimmt man Vmax, Beschleunigungsphase und die anzustrebende Vermeidung stereotypischer Kreisbewegungen (z. B. dadurch, dass es dem Delfin ermöglicht wird, zumindest eine Minute lang geradeaus zu schwimmen) als groben Bezugsrahmen, ergibt sich für die erforderliche Bahnenlänge ein Wert von rund 850-900 m.

b) zu: Haltungsbedingungen, Punkt 2: Wasserqualität - Physikalische und chemische Parameter

Die detaillierten Anforderungen an die Wasserqualität in Delfinarien bzw. ihrer Überprüfung sind begrüßenswert und an sich beizubehalten. Folgende Punkte bedürfen jedoch einer stärkeren Berücksichtigung:
Besonders die Konzentrationen von Phosphaten und Stickstoffverbindungen (in ökologischen Systemen sind dies Nitrat, Nitrit und Ammonium) geben Aufschluss über die Trophierung, v. a. Eu- und Hypertrophierung, von Gewässern und liefern für Stand- und Fließgewässer wichtige Anhaltspunkte bei der Güteklasseneinteilung. Beide Stoffgruppen sind im Wasser entweder Resultat exogener Eintragungen (in Delfinarium unwahrscheinlich) oder stammen wesentlich aus Exkrementen und deren Zersetzungsprozessen. Hohe Konzentrationen durch Eutrophierung mit solchen energiehaltigen Substanzen können Algen-, Protozoen-, Pilz- und Bakterienwachstum begünstigen. Auch marine Ökosysteme erweisen sich hier als empfindlich; beispielsweise reagieren viele Korallen bereits ab 1 mg Nitrat pro Liter Meerwasser allergisch. Daraus ergibt sich:

1. Der Grenzwert von 100mg Nitrat pro Liter Salzwasser in Delfinarien ist wesentlich zu hoch angesetzt und entspricht in keiner Weise natürlichen Umweltbedingungen. Er fördert Algenwachstum wie auch das anderer Mikroorganismen. Es ist nicht auszuschließen, dass sich hierunter pathogene Organismen befinden (Folge: z. B. Verpilzung), bzw. Stoffwechselprodukte das Wasser toxisch belasten. Beides ist schon nach jetziger Fassung des Säugetiergutachtens zu vermeiden.


2. Die nur vierteljährige Messung der Nitratkonzentration greift zu kurz, garantiert keine kontinuierliche überprüfung und ist bei dem vergleichsweise geringen Messaufwand auch unter praktischen Erwägungen nicht einzusehen. Eine tägliche, mindestens wöchentliche Kontrolle und Protokollierung ist anzustreben, flankiert von Konzentrationsmessungen der anderen biologisch relevanten Stickstoffverbindungen Nitrit und Ammonium, das für viele Organismen schon in geringer Konzentration giftig ist.


3. Die, wie dargestellt, ebenfalls wichtige Phosphatkonzentration muss laut Säugetiergutachten bislang gar nicht erhoben werden. Für eine sichere Beurteilung des Belastungs-/Trophierungsgrades des Wassers scheint auch hier eine regelmäßige Messung und Protokollierung unumgänglich und wird in verwandten Bereichen (Aquaristik, Limnologie etc.) standardmäßig durchgeführt.

c) zum Forschungs- und Wissenschaftsbezug

Als eine wesentliche Anforderung an zoologische Einrichtungen wird von gesetzgeberischer Seite aus ein verschieden ausgestaltbarer Wissenschaftsbezug eingefordert. Das Säugetiergutachten verpflichtet an exponierter Stelle - nämlich bereits in der Einleitung zum Cetacea-Kapitel - neben einem umfassenden Bildungsprogramm zur Teilnahme an Forschungsprojekten. Nach § 68 Abs. 2 Nr. 6 Landschaftsgesetz (2007) darf die Genehmigung für die Einrichtung, den Betrieb und die wesentliche Änderung eines Zoos nur erteilt werden, wenn der Zoo sich als eine von drei Möglichkeiten an Forschungsaktivitäten beteiligt, die zur Erhaltung der Arten beitragen, einschließlich dem Austausch von Informationen über die Arterhaltung. Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW präzisiert in einer Stellungnahme vom 04.11.2008 dies dahingehend, dass Beiträge „gleichwertig neben der Erhaltungszucht in der Gefangenschaft auch die Beteiligung an Forschungsprogrammen, wissenschaftlichen Untersuchungen (unter Einbeziehung von Universitäten) [...] sein“ können.


An der Umsetzung dieser Forderungen bestehen erhebliche Zweifel. So kann eine von der Delphinarium Münster GmbH vorgelegte Auflistung von vorgeblichen Forschungsarbeiten aus den Jahren 1986-2008 im Sinne einer Forschungsbeteiligung und eines Wissenschaftsbezugs nicht überzeugen. Rechnet man die Diplom- und Staatsarbeiten heraus - sie erfüllen grundsätzlich nicht die Anforderungen an wissenschaftliche Literatur und Forschung, weil sie z. B. nicht zitierfähig und in der Regel nicht einsehbar sind -, verbleiben in Form von drei Dissertationen innerhalb von 22 Jahren nur wenige Beispiele wertbaren Outputs. Zudem scheint die Transferrichtung ganz überwiegend zum Delphinarium hin gerichtet, weil wissenschaftliche Fragestellungen wie auch ihre Auswertungen in der Regel außerhäusig anzusiedeln sind. Forschung durch das Delphinarium ist für den Außenstehenden insofern kaum je als initiativ erkennbar.


Um den schon jetzt bestehenden Anforderungen (s. o.) zu genügen, ist die Vorgabe und Einhaltung folgender wissenschaftlichen Mindeststandards anzustreben. Diese gelten im übrigen nicht nur für Hochschulen, sondern auch für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen (z. B. Robert-Bosch-Stiftung) und werden als selbstverständliche Qualitätssicherungsmaßnahmen angesehen:


1. Einführung eines jährlichen Rechenschaftsberichtes über die Forschungs- und Lehraktivitäten, ähnlich den universitären Institutsberichten. Hierin sind neben Publikationen und Veranstaltungen auch die beteiligten Mitarbeiter und Wissenschaftler zu nennen.


2. Die Sicherung des wissenschaftlichen Standards in Forschung und Lehre ist in Deutschland üblicherweise an Qualifikationen gebunden. So dürfen Abschlussarbeiten, insbesondere Dissertationen nur von Habilitierten bzw. gleichwertig Qualifizierten begutachtet werden. Zur Qualitätssicherung des wissenschaftlichen Outputs von Definarien ist deshalb die feste Kooperation mit habilitierten oder gleichwertig qualifizierten Wissenschaftlern (besonders der Fächer Biologie, Humanmedizin, Veterinärmedizin) geboten, z. B. durch verpflichtende Kooperationsverträge.

Bochum/Hagen, den 08.04.2010

Priv.-Doz. Dr. Christian Schulze

Taubenforscher Prof. Onur Güntürkün (Biopsychologe) greift  deutschen Privatdozenten als "wissenschaftlichen Laien" an

(WDSF) Unsachliche Retourkutsche des u.E. befangenen Berufspsychologen Prof. Onur Güntürkün gegen das delfinhaltungskritische o.a. wissenschaftliche Gutachten von Priv.-Doz. Dr. Christian Schulze (beide Ruhr-Universität Bochum)

Der Tiergarten Nürnberg veröffentlicht auf seiner Homepage (leider ohne Veröffentlichung der weiteren Stellungnahmen der Einzelsachverständigen, die sich gegen eine Delfinhaltung ausgesprochen haben) u.a. ein selbsttituliertes "wissenschaftliches" Statement des türkischen Prof. Onur Güntürkün (Ruhr-Universität Bochum) zu dem Bundestagsantrag der Grünen (Haltung von Delfinen beenden), mit der sich dieser für die Fortführung der Delfinhaltung ausspricht. In seiner Stellungnahme greift Güntürkün seinen Fakultätskollegen Priv.-Doz. Dr. Christian Schulze (ebenfalls Ruhr-Universität Bochum) für seine fachliche wissenschaftliche Stellungnahme zur Delfinhaltung scharf an und argumentiert bedenklich unsachlich zum Thema. Die Stellungnahme von Onur Güntürkün wurde vom Bundestagsausschuss wohlweislich nicht aufgeführt. Güntürkün ist für den Fakultätsbereich Biopsychologie der Ruhr-Universität tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Funktion des Denkens, wie er selbst schreibt. Aus seiner beruflichen VitaVita ergibt sich, dass von Güntürkün keine fachspezifischen Veröffentlichungen über die Delfinhaltung verfügbar sind und er sich nicht schwerpunktmäßig damit befasst hat.

Die neurologische Gehirnforschung an toten Delfinen, die Güntürkün betreibt, hat nicht viel mit Erkenntnissen zur Delfinhaltung zu tun. Im Gegensatz zu den Ergebnissen internationaler Delfinforscher kommt Güntürkün im Jahr 2004 zu dem Ergebnis, dass "Delfine weniger intelligent sind, als bisher gedacht". Güntürkün hat als Referent eine Dissertation zur Erlangung eines Doktortitels einer Studentin (Annette Kilian - Mai 2004) zum Thema der Gehirnfunktion von Großen Tümmlern begleitet und kurz danach (September 2004) zum gleichen Thema einen Kurzbericht zusammen mit Annette Kilian und dem Kurator des Tiergartens Nürnberg, Lorenzo von Fersen, beigesteuert. Die Liste der verwendeten Fremdpublikationen des Kurzberichts ist fast identisch mit der Arbeit der betreuten Studentin und stellt lediglich eine auszugsweise Abschrift aus der Dissertation dar. Am liebsten forscht Güntürkün allerdings an Elstern und Tauben.

Prof. Güntürkün ist kein Delfinspezialist, der sich nicht anmassen sollte, den renommierten Fakultätskollegen PD Dr. Schulze fachlich zu kritisieren, der wissenschaftliche Stellungnahmen u.a. auch zur Delfinhaltung und -therapie veröffentlicht hat, zumal sich Güntürkan lediglich auf neurologischer Ebene mit Delfingehirnen von toten Delfinen befasst hat. Güntürkün tituliert Dr. Schulze in seiner eigenen "wissenschaftlichen" Stellungnahme (s. Tiergarten Nürnberg) als "wissenschaftlichen Laien", obwohl Schulze als zweifach examinierter Biologe mit dem Schwerpunkt Zoologie, spezielle Botanik und Stoffwechselphysiologie und als unabhängiger Hochschuldozent wissenschaftliche Stellungnahmen zum Thema der Delfinhaltung und Delfintherapie verfasst hat. Bei der u.E. nicht wissenschaftlichen Stellungnahme von Prof. Güntürkün zu den Ausführungen von Herrn PD Dr. Schulze haben seine eigenen intensiven Verflechtungen mit dem Tiergarten Nürnberg offenbar eine wesentliche Rolle gespielt.

Güntürkün ist eng mit dem Tiergarten Nürnberg verbunden. Er war Mitglied im Förderverein DelphinLagune e.V. der sich in 2012 aufgelöst hat. Der Verein sollte die kommerzielle Verwendung der Delfine zur Delfintherapie fördern.* Im Jahresbericht des Tiergartens Nürnberg 2014 heißt es. "Im September 2014 kooperieren der Leibniz-Preisträger Prof. Dr. Dr. h.c. Onur Güntürkün, Lehrstuhlinhaber in der Biopsychologie an der Ruhr-Universität Bochum, und Dr. Vincent Janik, Professor für Biologie an der Universität von St. Andrews in Schottland, mit dem Tiergarten im Rahmen eines Forschungsprojekts zu Spiegelversuchen und zur Erforschung der Bioakustik bei Delphinen."

Zum neuen Delfinarium Nürnberg (dort S. 48) äußerte Güntürkün: "Die Delphin-Lagune vereint alle positiven Aspekte einer optimalen und artgerechten Tierhaltung. Ein begeisterndes Projekt." Das WDSF vermutet in dem unqualifizierten Statement des türkischstämmigen Güntürkün auch einen gewissen Unmut aufgrund der Vereinbarung des WDSF mit allen großen deutschen Reiseveranstaltern, dass keines der 10 türkischen Delfinarien aufgrund katastrophaler Zustände mehr angeboten wird.--

Hier: Verhaltenregeln für das Delfin-/Whale-Watching (GRD)